Ausgabe 3/2024, Juli
Aus dem WIdO
Krankenhaus-Report 2024: Strukturreform dringend nötig
Der Krankenhaus-Report legt seinen Schwerpunkt in diesem Jahr auf das Thema „Strukturreform“. Er beleuchtet Qualitäts- und Strukturprobleme und skizziert Handlungsoptionen für eine Reform.
Seit Jahren wird über den nötigen Strukturwandel der deutschen Krankenhauslandschaft diskutiert. Aktuelle Auswertungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK belegen erneut den Handlungsbedarf. Beispiel Krebsversorgung: 2022 waren 40 Prozent der Kliniken, in denen Brustkrebsoperationen stattfanden, nicht von der Deutschen Krebsgesellschaft oder vergleichbar zertifiziert. Etwa 13 Prozent der Brustkrebsfälle wurden in nicht zertifizierten Kliniken operiert. Dabei hat das vom Innovationsausschuss geförderte Projekt „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren (WiZen)“ gezeigt, dass Brustkrebspatientinnen, die in zertifizierten Zentren behandelt werden, einen Überlebensvorteil von rund 20 Prozent haben.
Reformbedarf besteht auch angesichts des durch die demografische Entwicklung weiter verschärften Fachkräftemangels. Gleichzeitig ist die Auslastung der Kliniken deutlich gesunken, da sich die Nachfrage seit der Corona-Pandemie substanziell verschoben hat. Die kleinteilige Struktur der Krankenhauslandschaft muss dringend reformiert werden, um die Versorgungsqualität zu verbessern und eine stabile sowie wirtschaftliche Finanzierungssystematik zu erreichen.
Der Report zeigt Handlungsansätze für Reformen auf und thematisiert Reformerfahrungen aus der Schweiz und Nordrhein-Westfalen. Er stellt zudem Optionen und Elemente für eine Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft vor – sowohl im Bereich der qualitätsorientierten Planung und der Ambulantisierung als auch im Bereich der Vorhaltefinanzierung.
„Die Konzentration der Strukturen muss dringend beschleunigt werden. Im bisherigen Tempo würde es noch Jahrzehnte dauern, bis alle Krebskranken in zertifizierten Zentren behandelt werden.“
Christian Günster, Leiter des Forschungsbereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung im WIdO
Gesundheitsatlas: Herzerkrankungen nehmen ab
Die Zahl der herzkranken Menschen in Deutschland ist weiter rückläufig. Das und mehr zeigt die Datenaktualisierung des Gesundheitsatlas Deutschland.
Die Krankheitshäufigkeiten von koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Herzinfarkten lagen im Jahr 2022 auf dem niedrigsten Stand seit 2017. Von der koronaren Herzkrankheit (KHK) waren im Jahr 2022 8,1 Prozent der Bevölkerung ab dem 30. Lebensjahr betroffen. 2017 waren es noch 8,8 Prozent (alters- und geschlechtsstandardisiert). Auch bei anderen Herzerkrankungen zeigte sich ein Rückgang: So sank die Prävalenz der Herzinsuffizienz von 5,4 Prozent im Jahr 2017 auf 5,0 Prozent im Jahr 2022. Auch die Herzinfarktraten nahmen ab: von 390 Fällen auf 320 je 100.000 Menschen.
Gleichzeitig zeigen die Daten aber negative Entwicklungen bei Erkrankungen, die als wichtige Risikofaktoren für die Entwicklung von Herzerkrankungen gelten. So ist der Anteil der Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 oder mit Bluthochdruck zwischen 2017 und 2022 angestiegen.
Innerhalb Deutschlands gibt es ausgeprägte regionale Unterschiede bezüglich des Vorkommens von Herzerkrankungen. Die Verteilung und alle weiteren empirischen Ergebnisse sind auf der Webseite des Gesundheitsatlas im Bereich Herz-Kreislauf-System zu finden. Die Webseite des Gesundheitsatlas bietet einen interaktiven Einblick in die regionalen Krankheitshäufigkeiten von insgesamt 24 Erkrankungen.
Neue ATC-Klassifikation 2024
Die neue anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation (ATC) mit Tagesdosen (DDD) für den deutschen Arzneimittelmarkt ist im April dieses Jahres erschienen.
Die Klassifikation ermöglicht die transparente Erfassung der Arzneimittelverordnungen in Deutschland. Sie bildet die Grundlage für die amtliche Fassung der ATC-Klassifikation mit Tagesdosen für gesetzliche Anwendungszwecke, die im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt sind.
Die aktuelle ATC-Klassifikation steht hier zum Download bereit.
Die WIdO-Themen zum Herunterladen
Analysen – Schwerpunkt: Künstliche Intelligenz in der Medizin
KI im Gesundheitswesen - Definitionen und Typologien
Anna Meinhardt und Silvia Straub, Hochschule Neu-UlmKünstliche Intelligenz (KI) durchdringt alle Lebensbereiche. Das Gesundheitswesen ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Die KI ist mit ihren vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten ein Meilenstein in der Geschichte der Gesundheitsversorgung und wird sogar als Schlüsseltechnologie der Zukunft betrachtet. Wir haben erst damit begonnen, an der Oberfläche der Möglichkeiten zu kratzen. KI kann zu weitreichenden Verbesserungen der Prozesse im Gesundheitswesen und der Qualität der Patientenversorgung führen und hat ein erhebliches Kostensenkungspotenzial. Um eine Bewertung von Chancen und Risiken der KI im Gesundheitswesen vornehmen zu können, ist ein umfassender Überblick über die Begrifflichkeiten und Typologien von KI genauso unabdingbar wie die Betrachtung der Anwendungsbereiche und Einsatzmöglichkeiten.
Maschinelles Lernen in der medizinischen Versorgung
Kai Wehkamp, MSH Medicalschool HamburgMaschinelles Lernen ist ein Teilbereich künstlicher Intelligenz und prägt mit einigen bahnbrechenden Innovationen die öffentliche Diskussion. Trotz einer Vielzahl an Projekten in Wissenschaft und Entwicklung gibt es in Deutschland bislang nur wenig erfolgreichen Transfer in die angewandte Patientenversorgung. Hintergrund sind verschiedene Herausforderungen, unter anderem das Fehlen einer systematischen Verfügbarkeit homogener Daten und eines Nachweises des tatsächlichen Versorgungsnutzens. Trotzdem existieren bereits zugelassene Anwendungen, die verschiedene Aufgaben übernehmen können. Um das Potenzial des maschinellen Lernens in der angewandten Patientenversorgung künftig besser zu erschließen, sollten verschiedene Voraussetzungen im Bereich der Regulierung, der technischen Infrastruktur und der Integration in das Gesundheitssystem diskutiert werden.
KI in der GKV aus rechtlicher Sicht
Ernst Hauck, Bundessozialgericht, KasselDie denkbaren Möglichkeiten, künstliche Intelligenz in der gesetzlichen Krankenversicherung einzusetzen, sind schier unbegrenzt. Der Chance, damit im Interesse der Patienten und Beitragszahler neue Wege zu einer besseren Versorgung der Versicherten zu günstigeren Kosten und zu einer Entlastung der Leistungserbringer zu gehen, stehen die Risiken eines unkontrollierbaren Einsatzes gegenüber, bei dem unbemerkt Patientengruppen diskriminiert und Datenschutz vernachlässigt werden könnten. Der derzeit bestehende Rechtsrahmen für die medizinischen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ist weithin nicht spezifisch auf den Einsatz künstlicher Intelligenz ausgerichtet. Er wirkt aber ihren Risiken entgegen und ebnet damit den Weg für ihre rechtmäßige sozialverträgliche Nutzung.
Generative KI im Gesundheitswesen - Chancen und Risiken
Mirja Mittermaier, Charité – Universitätsmedizin BerlinGenerative künstliche Intelligenz (KI) erzeugt neue Inhalte, zum Beispiel Texte, Bilder, Filme oder Musik. Die generativen KI-Modelle werden mithilfe einer großen Menge von Daten trainiert. Nach Eingabe von Anweisungen durch den Nutzer werden neue Inhalte auf Basis der zuvor gelernten Muster und Beziehungen generiert. Für das Gesundheitswesen ist das Potenzial von generativer KI enorm. Es reicht von Abrechnungscodierung über die Erstellung von Arztbriefen bis hin zur Arzneimittelforschung. Trotz dieser Möglichkeiten steht die Nutzung von generativer KI im klinischen Alltag noch ganz am Anfang, da zahlreiche Risiken und Implementierungshürden bestehen. Dazu zählen eine ungeeignete IT-Infrastruktur, das Fehlen von klinischen Studien, die die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der erzeugten Ergebnisse validieren, sowie offene Fragen zu Datenschutz, Haftung und Regulierung. Der nachfolgende Artikel beleuchtet sowohl die Potenziale als auch die Herausforderungen von generativer KI im Gesundheitswesen.